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DiGA Onboarding Experience Benchmark 2022

17 Digitale Gesundheitsanwendungen bewertet nach ihrer Nutzerfreundlichkeit im Onboarding.

Justin Schmitz: Usability Experte & KPI-driven UX DesignerJustin Schmitz
05.06.2022
In einer umfangreichen Untersuchung wurden 125 detaillierte User Experience Standards identifiziert, die das Nutzererlebnis beim Onboarding in einer digitalen Gesundheitsanwendung bewerten. Der folgende Benchmark besteht aus umfassenden Tests der Onboarding-Erfahrungen der digitalen Gesundheitsanwendungen Cankado, Cara Care, Esysta, Invirto, Kalmeda, Kranus Edera, Meine Tinnitus App, Mika, Mindable, M-Sense, Nichtraucherhelden, Oviva Direkt, Rehappy, somnio, Vitadio, Vivira und Zanadio.
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Benchmark

Ein interaktives Diagramm zeigt die kombinierten Ergebnisse des manuellen UX-Performance-Benchmarking. Es wurde für 17 digitale Gesundheitsanwendungen mit über 3 × 2000 Leistungsbewertungen durchgeführt. Das Diagramm besteht aus mehreren Ebenen, auf denen die einzelnen Ergebnisse betrachtet werden können. Filter können die Anzeige bestimmter Anwendungen oder Anzeigeoptionen reduzieren. Im weiteren Verlauf werden detaillierte Fallstudien für jede der 17 digitalen Gesundheitsanwendungen vorgestellt.

Das Ansehen auf einem Desktopgerät wird empfohlen.

Filter
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Aufbau des Benchmarks

Der Benchmark ist eine heuristische Bewertung. Anstatt sich jedoch auf verallgemeinerte Heuristiken (Nielsen, Shneiderman, Gerhardt-Powal, Weinschenk und Barker, Tognazzini) zu verlassen, wurden 125 detaillierte Bewertungskriterien zusammengestellt, die spezifisch das Onboarding-Verfahren beurteilen. Diese Richtlinien wurden auf der Grundlage von allgemein anerkannten Interface-Richtlinien und bekannten Heuristiken, wissenschaftlichen Studien im Bereich Performance und Benutzerfreundlichkeit, Best Practices der Großindustrie (Google, Apple, Mozilla, Microsoft, Adobe, Shopify, IBM), Richtlinien von wissenschaftlich fundierten Benchmarks (Baymard, NNGroup) und international anerkannten Standards für Barrierefreiheit (WCAG, EN301 549, ADA) entwickelt.

Jeder der 17 untersuchten digitalen Gesundheitsanwendungen wurde jeweils in den einzelnen Kategorien eine Punktzahl zwischen 0 und 100 zugewiesen. Sie drückt aus, wie gut oder schlecht die Benutzererfahrung ist, basierend auf der Anzahl der jeweiligen gewichteten Richtlinien der Kategorie.

Der folgende Abschnitt enthält umfangreiche UX-Fallstudien zu 17 digitalen Gesundheitsanwendungen. Er enthält insgesamt 2000 UX-Performance-Bewertungen.

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Digitale Gesundheitsanwendungen

Die Einführung der Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) ist ein wichtiger Schritt zur Modernisierung des deutschen Gesundheitswesens. Als Medizinprodukt unterstützen "Apps auf Rezept" Patienten mit ganzheitlichen Therapieansätzen bei verschiedenen Krankheitsbildern wie Nikotin- und Alkoholsucht, Krebs, Adipositas, Migräne oder Angstzuständen.

DiGA unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht von herkömmlichen Gesundheitsanwendungen. Als Medizinprodukte unterliegen sie hohen Anforderungen. Die Wirksamkeit der DiGA auf die Gesundheit der Patienten muss hinreichend nachgewiesen werden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bewertet in einem mehrmonatigen Evaluierungsprozess den positiven Versorgungseffekt. Dabei spielen die Qualität der medizinischen Inhalte, die Datensicherheit und die Nutzerfreundlichkeit eine ebenso wichtige Rolle.

Außerdem haben Hersteller seit Kurzem die Möglichkeit, im Rahmen des sogenannten Fast-Track-Verfahrens eine vorläufige Zulassung zu erhalten. Wenn dies der Fall ist, müssen sie im ersten Jahr wissenschaftliche Nachweise für die positiven Auswirkungen ihres Programms erbringen. Ein leichter Marktzugang soll junge Unternehmen mit innovativen digitalen Therapien fördern.

Ärzte verschreiben digitale Gesundheitsanwendungen. Viele Krankenkassen bieten eine elektronische Übermittlung der ärztlichen Anordnungen über Service-Apps an. Bei diesen Apps erhält der Versicherte einen Freischaltcode, der die kostenlose Nutzung der Gesundheitsanwendungen ermöglicht.

Das System wird gelobt und kritisiert. Stakeholder bemängeln schlechte Vertriebskanäle, Uneinigkeit über Höchstbeträge, niedrige Verschreibungsquoten bei den Ärzten, geringe Patientenakzeptanz und verweisen auf die mangelnde Marktdurchdringung aufgrund übermäßiger regulatorischer Eingriffe.

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Nutzerakzeptanz

Mangelnde Akzeptanz bei den Patienten kann auf zahlreiche Ursachen zurückgeführt werden. Meine Erfahrung als Digital Designer mit einem Hintergrund im Gesundheitswesen veranlasste mich zu der Frage, welche Anforderungen DiGA an die Benutzerfreundlichkeit stellt und welche Möglichkeiten es gibt, diese zu verbessern.

Der DiGA-Leitfaden für Hersteller schreibt über Nutzerfreundlichkeit Folgendes:

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Die Anforderungen der DiGAV an die Nutzerfreundlichkeit einer DiGA zielen auf eine intuitive Nutzbarkeit und Erlernbarkeit der DiGA für die angesprochenen Zielgruppen ab. Prinzipiell gelten die Vorgaben des Usability Styleguides der jeweiligen Plattform. Bei Implementation von alternativen Lösungen ist im Rahmen der Nutzertests eine besonders hohe Nutzerfreundlichkeit nachzuweisen. Während für im Umgang mit digitalen Anwendungen geübte Personen eine Ausrichtung am gewohnten Look & Feel digitaler Anwendungen durch die Umsetzung plattformspezifischer Styleguides gefordert wird, fokussiert die Forderung nach Fokusgruppen-Tests vor allem auf über die DiGA neu für die Nutzung digitaler Anwendungen gewonnene Personen.

Doch was genau sind die Vorgaben des Usability Styleguides? Ab wann ist eine Nutzbarkeit intuitiv und wie wird die Erlernbarkeit einer DiGA gemessen? Im Rahmen dieser Kernfragen wurde ein Benchmark erstellt, der anhand von 125 objektiven Richtlinien die Nutzbarkeit messbar gestalten kann. Da eine Analyse der gesamten App-Funktionen zu zeitaufwendig und zahlreiche DiGA nur mit einem Freischaltcode vollständig nutzbar sind, erfolgt ein Fokus auf mobile Anwendungen mit einem Onboarding-Verfahren, das im Fokus der Analyse steht.

Mobile Anwendungen verzeichnen eine stetig wachsende Zielgruppe. Der Onboarding-Prozess vermittelt einen ersten Eindruck von der digitalen Lösung und schafft eine Grundlage für ein nachhaltiges Engagement.

Richtlinien werden mit Hinblick auf die Vorteile für den Nutzer beschrieben, Tipps für die erfolgreiche Umsetzung gegeben, weitere Ressourcen verlinkt und eine Verteilung der Ergebnisse jeder Richtlinie dargestellt. In naher Zukunft können auch beispielhafte Lösungen skizziert oder weitere Richtlinien ergänzt werden.

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Ergebnisse

Digitale Gesundheitsanwendungen variieren in ihrer Qualität des Onboardings. Grundsätzlich ist die Qualität ausreichend bis gut. Während einige Apps fundamentale Änderungen durchführen sollten, kann der Großteil der Anbieter bereits durch kleine Anpassungen und einer noch nutzerzentrierteren Herangehensweise ihren Onboarding-Prozess deutlich optimieren.

Positiv hervorzuheben ist die Performance der Apps. Nahezu jede App liefert gute Start- und Reaktionszeiten und Navigationen fühlen sich latenzfrei an. Textliche Inhalte unterstützen den Nutzer bei dem Einrichten der App. Bei der Einhaltung der Richtlinien zur Barrierefreiheit können sich klassisch kommerzielle Apps inspirieren lassen, da DiGA in vielen Fällen in diesem Bereich stark punkten. Die Darstellung und Interaktion mit Eingabefeldern ist in den Grundlagen gut gelungen.

Kritisch zu betrachten ist die fehlende Nutzerzentrierung bei Texten, die häufig mit technischen Begriffen versehen sind. Oft versäumen Anwendungen es, ihren Mehrwert und insbesondere den einer Registrierung an den Nutzer zu kommunizieren. Gepaart mit der fehlenden Möglichkeit, die Apps ohne verpflichtende Dateneingaben auszuprobieren, gleicht der empfundene Mehrwert einer Blackbox.

Interaktionsmuster bei Registrierungen sind häufig veraltet, überdimensioniert und nicht für den Nutzer optimiert. Dies ist teils auf Forderungen vom Gesetzgeber zurückzuführen, doch auch auf veraltete Standards in der Softwareentwicklung. Status bei Nutzereingaben werden unzureichend kommuniziert. Insbesondere bei der Passwortvergabe weist jede App enormes Verbesserungspotenzial auf.

CANKADO befindet sich in der Gesamtwertung im Mittelfeld. Trotz des anschaulichen Startbildschirms und einer soliden Barrierefreiheit leidet die Benutzbarkeit der App unter zahlreichen Phänomenen, die einen unfertigen Eindruck erzeugen. Dazu gehören ungewollte Wechsel in die englische Sprache, technische und navigatorische Bugs und zahlreiche Rechtschreibfehler.

Cara Care überzeugt als einzige App durch eine konsistente Einhaltung aller Richtlinien zur Barrierefreiheit. Die Oberfläche ist ästhetisch, intuitiv bedienbar und bietet ausreichend Hilfestellungen auch für technisch unerfahrene Nutzer. Der Registrierungsprozess könnte durch das Kombinieren von Seiten und einer dynamischen Hilfe beim Erstellen des Passworts deutlich vereinfacht werden.

ESYSTA war die in Bezug auf Reaktionszeiten schnellste App in der Analyse. Interaktionsmuster und Barrierefreiheit sind durchdacht und die Produkttour auf den Punkt gebracht. Die schlanke Produkttour wird jedoch durch das unübersichtliche Registrierungsformular überschattet, das durch doppelte Felder und unzureichende Organisation eine große Hürde für Nutzer darstellt.

Invirto glänzt durch äußerst schöne Illustrationen und einer einzigartigen Navigationsweise im Onboarding-Prozess. Leider weist die App Schwierigkeiten bei gewohnten Interaktionsmustern auf und eine Freischaltung des Benutzerkontos ist lediglich nach einem Anruf möglich. Bereits zu Beginn verbergen sich in Invirto zahlreiche Seiten, die erst nach bestimmten Interaktionen aufrufbar sind, was das Seitenverzeichnis undurchschaubar macht.

Kalmeda besitzt einen längeren interaktiven Onboarding-Prozess, der jedoch von effektiv gestalteten Texten, einer intuitiven Struktur und mühelosen Interaktionsmustern begleitet wird. Trotz guter Barrierefreiheit sind eine einheitliche Farbnutzung und das Kommunizieren von Status bei Kalmeda nicht zu finden.

Kranus Edera ist der “Sieger” des Benchmarks und überzeugt durch exzellente Barrierefreiheit, performante Navigation und effektiv gestaltete Seiten. Textliche Inhalte sind größtenteils optimal für den Nutzer und Interaktionen mit Leichtigkeit durchführbar. Leider benötigt Kranus Edera bereits nach wenigen Schritten einen Freischaltcode. Auch können Passwortvorgaben und die damit verbundenen Aktionen deutlich vereinfacht werden.

Meine Tinnitus App besitzt einen äußerst simplen Anmelde- und Registrierungsprozess, der leider direkt einen Freischaltcode fordert. Die sichtbaren Seiten weisen zahlreiche Probleme in der Barrierefreiheit auf. Die Medienauswahl ist unklar. Interaktionsmuster sind unerwartet und nicht intuitiv erkennbar.

Mika ist Spitzenreiter bei der Erfüllung der Grundlagen. Interaktionen und textliche Inhalte sind passend gewählt und die App lässt sich bei ausreichender Geschwindigkeit auch ohne Freischaltcode testen. Einzelne Seiten sind im Hinblick auf die Barrierefreiheit gut umgesetzt. Die Registrierung kann durch zahlreiche kleinere Verbesserungen optimiert werden.

Mindable verbindet gute Performance, intelligente Animationen und informative Illustrationen mit einer durchdachten Barrierefreiheit, insbesondere bei Nutzereingaben. Nutzerzentrierte Texte und optimierte Interaktionsmuster in der Registrierung würden der App den letzten Schliff verleihen. Zudem existiert keine Möglichkeit, das Passwort zurückzusetzen.

M-sense bietet einen interessanten Chatbot-Ansatz mit ästhetisch animierten Illustrationen. Die Richtlinien zur Barrierefreiheit werden fast vollständig erfüllt und die von allen DiGA am intelligentesten entwickelten zahlreichen Interaktionsmuster nehmen den Großteil der Arbeit ab. Für ungeduldige Nutzer könnten lediglich die Wartezeiten zwischen den Interaktionen mit dem Chatbot störend sein.

Nichtraucherhelden zeigt, dass eine Registrierung aus einem kurzen Fragebogen bestehen kann und vermeidet eine Kontoerstellung zu Beginn. Die Registrierung ist auch im Nachhinein möglich, was jedoch nicht optimal in das Analysemuster des Benchmarks passt und dadurch eine niedrigere Punktzahl erklärt. Trotz dessen weist Nichtraucherhelden zahlreiche optimierbare Muster auf, insbesondere in der konsistenten Farbnutzung, bei Interaktionen mit Eingabefeldern und bei einer zeitaufwendigen Registrierung.

Oviva Direkt befindet sich im unteren Mittelfeld. Interaktionen mit der App sind intuitiv verständlich. Die Barrierefreiheit wird weitestgehend berücksichtigt. Die App verfehlt es jedoch, ihren Mehrwert – und somit den einer Registrierung – erfolgreich an den Nutzer zu vermitteln.

Rehappy lässt sich unzureichend auf das Schema der Analyse anwenden. Die wenigen Onboarding-Screens wirken gezeichnet. Das Design ist weitestgehend fernab von allen Konventionen der Plattformen und auch Interaktionsmuster sind stark unüblich. Vorreiter ist Rehappy lediglich in der Simplizität des Onboardings, das durch kurze Bestätigungen des Nutzers abgeschlossen ist und sich ohne Benutzerkonto und Freischaltcode verwenden lässt.

somnio unterstützt Nutzer durch sinnvolle Texte und einer enormen Bandbreite an Hilfestellungen zum Freischalten der DiGA, wie sie in keiner anderen App vorhanden ist. Barrierefreiheit, Struktur, Navigation und farbliche Elemente sind gut durchdacht. Nutzereingaben sind einfach zu tätigen, wenn auch im Bereich der Passworteingabe verbesserungswürdig.

Vitadio überzeugt als neuste mobile DiGA sowohl durch Geschwindigkeit in der Benutzung als auch durch eine moderne Kontoerstellung mit Verifikation über die Telefonnummer anstelle einer E-Mail-Adresse. Auch wenn die App es verfehlt, ihren Mehrwert vor der Registrierung an den Nutzer zu vermitteln, bietet sie an den richtigen Stellen Hilfestellungen an. Leider ist nach kurzer Zeit ein Freischaltcode erforderlich.

Vivira ist die erfolgreichste App im Gestalten von Seiten und eine der stärksten Apps im Bereich Barrierefreiheit. Der Chatbot-Ansatz bietet ausreichend Hilfestellungen bei der Eingabe von Daten und dem Erstellen eines personalisierten Trainingsplans. Gleichzeitig erfordert die Registrierung einen enormen Zeitaufwand mit zahlreichen interaktiven Hürden, die das Erstellen eines Kontos erschweren. Das Kombinieren von Informationen und Optimieren des Systemverhaltens bei Nutzereingaben kann helfen, diese Hürden zu verringern.

zanadio ist eine der durchdachtesten Apps, wenn es um die Gestaltung von Nutzereingaben geht. Die Startseite kommuniziert erfolgreich den Mehrwert an den Nutzer durch Illustrationen und lösungsorientierte Texte. Die Registrierung lässt diesen Ersteindruck schwinden, da durch den Medienbruch die aufgebaute Konsistenz in der Nutzeroberfläche stark beeinträchtigt wird.

Persönliches Fazit

DiGA stehen vielseitig in der Kritik. Sie haben aufgrund von Anforderungen durch zahlreiche Stakeholder, Interessenkonflikte und hohen Standards der BfArM vermutlich andere Prioritäten als die Optimierung der Nutzererfahrung im Onboarding. Ob diese Vermutung sich bewahrheitet, soll in einem zweiten Artikel besser durchleuchtet werden.

Auch wenn die Onboarding-Erfahrungen zwischen den einzelnen DiGA stark variieren und gesamt betrachtet noch nicht optimal sind, glänzen DiGA durch überdurchschnittliche Barrierefreiheit und ein solides Endergebnis. Ich hoffe durch die Analyse Möglichkeiten aufgedeckt zu haben, mit der die allgemeine Akzeptanz der Bevölkerung für das Thema DiGA systematisch gesteigert werden kann. Mit der neusten Veröffentlichung zum Thema “Patienteneinbindung” macht der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung deutlich, dass Nutzer das Herzstück der Anwendung sind und Anbietern dieser Fokus bewusst ist.

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Methodik

Untersuchungsgegenstand

Native mobile App

Der Benchmark fokussiert sich auf Digitale Gesundheitsanwendungen, die als mobile Anwendung auf dem Smartphone installierbar sind und mindestens eine Seite besitzen, die das Onboarding der Nutzer thematisiert. Dieser Scope hilft, die Validität des Benchmarks aufrechtzuerhalten und eine bessere Vergleichbarkeit zwischen den Ergebnissen zu ermöglichen.

Mobile Geräte erfreuen sich einer durchgängig wachsenden Zielgruppe. Sie haben die Art und Weise, wie wir leben und unsere täglichen Aktivitäten ausführen, verändert. Handys haben ihre Stärken, aber auch ihre Grenzen. Diese Stärken und Grenzen spielen sich in guten mobilen Benutzererfahrungen aus.

Mobile Geräte sind praktisch und tragbar, doch diese enormen Vorteile bergen auch Risiken, die bei dem Design von mobilen Apps berücksichtigt werden müssen. Im Vergleich zu Desktopgeräten steht mobilen Apps nur ein einziges Fenster zur Verfügung. Das bedeutet, dass alle mobilen Aufgaben leicht in der App zu erledigen sein müssen. Dabei ist das Fenster auch noch bedeutend kleiner, sodass die Opportunitätskosten eines jeden Designelements evaluiert werden müssen.

Zudem sind mobile Nutzer deutlich anfälliger für Unterbrechungen, sei es durch Benachrichtigungen, App-Wechsel oder Faktoren von außerhalb. Apps müssen das Wesentliche priorisieren, Aufgaben möglichst vereinfachen und Status in einer hohen Frequenz speichern, damit der Nutzer sich auf ein direktes Fortfahren verlassen kann.

Zu guter Letzt bringen Touchscreens neue Bedienmöglichkeiten. Gesten können Interaktionen mit Apps flüssig, natürlich und effizient gestalten, andererseits sind z. B. durch die Größe des Geräts bedingte, kleine Tastaturen häufiger anfällig für Rechtschreibfehler.

Onboarding

Das Onboarding ist der Prozess, bei dem Nutzer mit einer neuen Oberfläche vertraut gemacht werden. Nutzer bewerten innerhalb von Sekunden, ob ein Produkt von Nutzen ist. Das Onboarding legt somit das Fundament für nachhaltiges Engagement der Nutzer. Es vermittelt einen Ersteindruck, der die erlebte Glaubwürdigkeit, Informationsqualität und klinische Wirksamkeit beeinflusst. Das Onboarding ist gleichzeitig sowohl als Eintrittshürde als auch als erster Berührungspunkt zum Lernen der Applikation zu verstehen.

Im Allgemeinen ist das Onboarding aus einigen Gründen problematisch. Onboarding-Flows erfordern die Aufmerksamkeit und den Einsatz der Nutzer, ohne dass diese bereits von der Anwendung profitiert haben. Selbst wenn die Nutzer das Onboarding überspringen, sind erhöhte Interaktionskosten notwendig. Zudem wird oft das Onboarding genutzt, um den Nutzern zu helfen, sich an bestimmte Dinge auf der Benutzeroberfläche zu erinnern. Diese Methode ist äußerst ineffektiv.

Das Onboarding sollte so effizient wie möglich gestaltet werden. Ein gutes Onboarding fokussiert sich auf die nötigsten Anpassungen, die zwingend zum Benutzen der App erforderlich sind. Komplexe Apps müssen mit schlauen Interaktionsmustern und optimierten Onboarding-Flows punkten, um Nutzer zu überzeugen.

Einschränkungen

Einige Apps, namentlich CaraCare, Invirto, Kranus Edera, Mindable, Oviva Direkt, Rehappy, Somnio, Vitadio und Zanadio benötigen einen Freischaltcode, der im Onboarding-Prozess angegeben werden muss. Da dieser Code bei der Analyse nicht verfügbar war, können hinter der Eingabe versteckte Seiten nicht analysiert werden. Die finalen Testergebnisse berücksichtigen somit eventuell nicht das vollständige Onboarding der App, sondern lediglich die Teile, die als Nutzer ohne Freischaltcode eingesehen werden können.

Zudem sind zwei der Apps (M-sense und Mika) aus dem DiGA-Verzeichnis ausgeschieden. Da die Analyse zum Zeitpunkt bereits abgeschlossen war, sind diese weiterhin hier aufgeführt.

Erstellung des Frameworks

User Experience

Der Fokus des Benchmarks liegt auf einer objektiven Messung der Benutzererfahrung im Onboarding von Digitalen Gesundheitsanwendungen. Dabei werden regulatorische Anforderungen vollständig außer Acht gelassen. Der Benchmark konzentriert sich rein auf die Anforderungen und Erfahrungen der Nutzer. Forderungen anderer Stakeholder sind nicht Teil des Benchmarks. So ist unter anderem die aktive Einwilligungspflicht per Checkbox bei der Datenschutzerklärung auf der gesetzlichen Grundlage der DSGVO für die App-Anbieter zwar verpflichtend, aus Sicht der Nutzererfahrung jedoch aufgrund der hohen Interaktionskosten stark kontraproduktiv.

Neben auf Datenschutz basierenden Entscheidungen müssen die Anbieter ebenfalls Anforderungen weiterer Stakeholder einhalten. Welche Stakeholder welche Anforderungen stellen und wieso diese Unternehmen daran hindern, aktiv an einer optimierten Benutzererfahrung zu arbeiten, wird in einem Folgeartikel ausführlich behandelt.

Herkunft der Richtlinien
Der Benchmark ist eine heuristische Bewertung. Anstatt jedoch auf vereinzelte und äußerst generische Heuristiken (Nielsen, Shneiderman, Gerhardt-Powal, Weinschenk und Barker, Tognazzini) zurückzugreifen, wurden 125 detaillierte Bewertungsrichtlinien ausgearbeitet. Diese Richtlinien wurden auf der Basis von existierenden Interface-Richtlinien, Heuristiken, wissenschaftlichen Studien, Best-Practise-Ansätzen der Großindustrie (Design Systeme von Google, Apple, Mozilla, Microsoft, Adobe, Shopify, IBM), Richtlinien aus wissenschaftlich fundierten Benchmarks (Richtlinien und Benchmarks von Baymard, Nielsen Norman Group) und international anerkannten Leitfäden für Barrierefreiheit (WCAG, EN 301 549, ADA) erstellt.
Objektivität der Richtlinien
Der Benchmark basiert auf 125 kategorisierten Richtlinien. Die Richtlinien basieren auf wissenschaftlich fundierten Quellen. Die Richtlinien sind dabei so aufgebaut, dass subjektives Empfinden auf ein Minimum reduziert wird, um die Objektivität und Reliabilität sicherzustellen. Ziel soll es sein, dass andere UX Analysten zu den gleichen Bewertungsergebnissen kommen.

Datenerhebung

Berechnung der Punktzahlen

Die Bewertung erfolgte anhand eines vierstufigen Rankings, das bei der finalen Berechnung normalisiert wurde. Dabei stehen 0 Punkte für einen schwerwiegenden Verstoß, 0.33 Punkte für einen starken Verstoß, 0.66 für einen leichten Verstoß und 1 Punkt für das Einhalten der Richtlinie. Sollte eine App eine Bewertung der Richtlinie nicht zulassen, wird diese aus der Gesamtwertung entfernt.

Zudem ist jede Richtlinie intern mit einem Schweregrad faktorisiert:

1. Kosmetischer Fehler / Unbewusste Reaktion des Nutzers

2. Irritierender Fehler / Kleine Unterbrechung des Nutzers

3. Starker Fehler / Große Unterbrechung des Nutzers

4. Schwerwiegender Fehler / Abbruch des Nutzers

Für die finale Punktzahl wird die Summe der Punkte der Richtlinien faktorisiert, mit den jeweiligen Schweregraden addiert und durch die Anzahl der für diese App zulässigen Richtlinien faktorisiert mit der Summe an Schweregraden geteilt.

Das Ergebnis ist eine Punktzahl zwischen 0 und 100, die jede der 17 untersuchten Digitalen Gesundheitsanwendungen jeweils in den einzelnen Kategorien zugewiesen wurde. Sie drückt aus, wie gut oder schlecht die Nutzererfahrung ist, die ein Erstnutzer in der App machen wird, basierend auf der Anzahl der jeweiligen gewichteten Richtlinien der Kategorie.

Hinweis: Nutzertests hätten im jetzigen Stadium die Größe hinsichtlich des Aufwands des Benchmarks überstiegen. Andernfalls hätten Faktoren wie Unterhaltung, Ästhetik, Engagement und das subjektive Empfinden in die Wertung miteinfließen können. Ein weiterer wichtiger Faktor bei der Analyse der Nutzererfahrung von Apps ist die Frequenz von Fehlern. Die Leitfrage lautet hierbei: Wie häufig tritt der Bruch einer Richtlinie bei Nutzertests auf?

Verlauf der Analyse

Nach dem Erstellen der Richtlinien wurde der Benchmark innerhalb von acht Wochen durchgeführt, beginnend am 21.03.2022. Es erfolgten drei Durchführungen á zwei Wochen, gefolgt von einwöchigen Pausen, ohne dass die Ergebnisse der jeweils vorherigen Durchführung sichtbar waren. Das überwiegende Ergebnis wurde als finale Bewertung verwendet.

Externe Analysten waren nicht Teil dieses Audits.
Nutzen der Ergebnisse
Ich halte Digitale Gesundheitsanwendungen für einen der wertvollsten Meilensteine in der für Patienten sichtbaren Digitalisierung der Medizin in Deutschland. Der Benchmark soll dazu beitragen, Anbietern Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen und diese durch die Kategorisierung angemessen priorisierbar zu machen. Die Verbesserungen sollen dazu beitragen, die Qualität der vorhandenen Lösungen zu optimieren, zukünftigen Anwendungen einen Leitfaden zu bieten, Metriken für eine erhöhte Akzeptanz vonseiten der gesetzlichen Stakeholder zu erhöhen und mehr Patienten mit Zufriedenheit an die Apps zu binden.
Kritik an der Methodik
Die Analyse kann durch zahlreiche Maßnahmen qualitativ aufgewertet werden. Diese Maßnahmen wurden bewusst nicht durchgeführt, da der damit verbundene Aufwand die Größe einer nicht kommerziellen Analyse untragbar macht. Beispiele für eine Erweiterung wären das Durchführen von Nutzertests anhand von Heatmaps, Eye-Tracking oder ‘Read out Loud’-Methoden, Nutzerinterviews, Durchführungen des Benchmarks von weiteren unabhängigen Analysten, oder das Berücksichtigen des vollständigen Onboardings nach Eingabe des Freischaltcodes.
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Hinweise

Statik der Analyse
Die Analyse wurde in einem festen Zeitraum bis zu einem fixen Zeitpunkt durchgeführt. Bewertete Faktoren können in den aktuellen Live-Versionen oder zukünftigen Releases der Apps durch Anpassungen hinfällig sein. Der Benchmark wird nicht aktualisiert. Ich behalte mir jedoch vor, in einem Jahr einen erneuten Benchmark durchzuführen, um die Entwicklung der Usability zu protokollieren.
Mehrteiliger Artikel
Dieser Artikel ist mehrteilig aufgebaut. Der erste Teil fokussiert sich auf die Ergebnisse und Methodik des Benchmarks. Der zweite Teil hebt hervor, welche Anforderungen und Hürden die Entwickler Digitaler Gesundheitsanwendungen meistern müssen und warum die regulatorischen Standards häufig nicht im Einklang mit einer guten Benutzererfahrung stehen. Weitere Teile können folgen.
Objektivität
Um Interessenkonflikte zu vermeiden, bin ich zum Zeitpunkt der Analyse in keiner Weise geschäftlich mit den Anbietern in Kontakt. Die Analyse erfolgte möglichst objektiv anhand der erstellten Richtlinien. Die Ergebnisse versuchen, positive und negative Faktoren gleichermaßen zu berücksichtigen.
Urheberrechte
Die verwendeten Screenshots können Bilder und Grafiken enthalten, die sowohl urheberrechtlich als auch markenrechtlich durch ihre jeweiligen Eigentümer geschützt sein können. Ich erhebe keinen Anspruch auf das Eigentum an den Grafiken, die in diesen Screenshots zu sehen sind. Ich erfasse und speichere die Website-Screenshots lediglich, um konstruktive Kritik und Feedback zum Thema App-Usability zu geben.
Sprachliches
Dieser Text kann trotz mehrfacher Überprüfung Fehler beinhalten. Ich übernehme keine Haftung für die Verwendung oder Richtigkeit der bereitgestellten Informationen. Bei dem Schreiben des Artikels berücksichtige ich keine sprachlichen Trends wie eine gendergerechte Sprache, um den Lesefluss aufrechtzuerhalten. Selbstverständlich sind Wörter geschlechtsfrei zu verstehen.
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